Wanderung zum „Buntenbrocker Bahnhof“
15.04.2018
(Endlich über den Berg!)
Hier liegt so ein riesiger Haufen in der Gegend herum. Wie von einem gigantischen Transporter in die Natur gekippt und
da liegt er nun. Ein lang gestreckter Haufen Schiefer, Granit, Gestein, Erde mit viel Wald darauf sowie Seen dazwischen,
dehnt sich über hundert Kilometer in der Länger und macht sich locker fünfzig Kilometer breit. Wenn ich aus der
(Halber)Stadt heraus fahre, liegen zwanzig Kilometer wellige Ebene mit einer Straße vor mir und am Horizont dieser
Riesenhaufen mit einem Brocken oben darauf. Manchmal sieht man dessen Spitze, wie eine wohlgeformte Brust mit
ihrem spitzen Nippel, in der Sonne liegen. Was für ein schöner und wirklich faszinierender Anblick, selbst dann, wenn
man ihn jeden Tag haben kann.
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Ich fahre darauf zu und biege nach zehn Minuten in Heimburg nach links ab. Von dort führt die Straße steil nach oben
und dann verschlingt mich, für die nächsten fünf Minuten, dichter Wald. Wenn ich den vor Elbingerode wieder verlasse,
habe ich eine Höhe von ca. 550 Metern erreicht. Auf dieser Unterlage voller Hügel, mit Wiesen, Seen und viel Wald,
fahre ich über den Haufen. Hier bin ich direkt obendrauf und manchmal kann ich von hier die Ebene erblicken. So fahre
ich bis Braunlage und plötzlich scheint die Sonne. Kurz vor Torfhaus befinde ich mich rund 800 Meter über dem
Meeresspiegel, falls man den sehen könnte. Rechts liegen von Friedericke geknickte Baumriesen am Straßenrand und
links folge ich dem Abzweig ins Tal hinunter. In den nächsten Minuten geht es beinahe nur abwärts. Die Verlockung,
einfach den Gang rauszunehmen und das Gefährt rollen zu lassen, ist ziemlich groß. Immerhin geht es hier über
zweihundert Höhenmeter hinunter und man könnte eine Menge Sprit sparen, bis endlich das Ortsschild von Clausthal-
Zellerfeld erreicht ist. Vor zwei Wochen lagen hier noch die letzten Reste vom Schnee und dichter Nebel drängte sich
zwischen den Baumstämmen hindurch. Jetzt sieht es fast aus, als wolle die Natur explodieren. Ein Mal quer über diesen
riesigen Haufen namens Harz fahren, so als wäre dies schon immer möglich gewesen und trotzdem hätte ich mir diesen
Weg lieber erspart oder zumindest den Grund, weshalb ich hierher unterwegs bin. Mein Gefühl sagt mir: Endlich sind
wir über den Berg!
Da stehe ich vor diesem gewaltigen Betonklotz, einem Reha-Zentrum im Oberharz. Dahinter spiegelt sich die Sonne im
Schwarzenbacher Teich. Am Ufer gegenüber beginnt der Wald, steigen die Hänge des Harz, die andere Seite vom
Haufen, aufwärts. Dort wollen wir mit Lily hin, von der (West)Luft im Wald schnuppern und durch die erholsame Stille
laufen. Abschalten, ausschalten, wegschalten, atmen und schwitzen. Nichts als die schlichte erhabene Schönheit der
Natur, wenigstens für eine Weile, und eintauchen in die Urwüchsigkeit der dicht gewachsene, fast unberührten Wälder.
Das unscheinbare Dörfchen Buntenbrock schmiegt sich mit direkt an die Berghänge. Eine Dorfstraße quetscht sich
zwischen den Häusern hindurch und endet dort, wo die Wiesen beginnen und der Wald lockt. Für einen Moment meine
ich, die Zeit wäre stehen geblieben und dieser Ort mit jedem beliebig anderen im Gebirge austauschbar. Hier scheint der
Uhrenzeiger für eine Umdrehung zwei Stunden zu brauchen und das Wasser im Bach plätschert in Zeitlupe. Ganz
allmählich beginnen die Beine so etwas wie Rhythmus zu finden und werden doch immer wieder von meiner Neugier
zum Stehen gezwungen und sei es für diese grüne Wiese mit farbigen Blumentupfern hinter den letzten Häusern.
Zwischen ihr und dem Waldrand führt uns der Wanderweg vom Dorf fort. Endlich wieder Grün und diesen Duft vom
Frühling in der Nase: „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche, durch des Frühlings holden belebenden Blick, …“. Goethe
wusste davon und heute fühlt sich das noch immer so an.
Es ist angenehm warm, der Planet brennt und die Füße erinnern sich. Auf der einen Seite dichter Wald und auf der
anderen eine Talsenke, die schon bald von einem kleinen See abgelöst wird. Ein Bächlein rinnt von den Berghängen
herunter und Lily nutzt die Gelegenheit, sich zu erfrischen. Da unten sitzen Zwei und angeln, uns kommen Wanderer
entgegen und Menschen, die hier wieder Kräfte zu sammeln versuchen. Am Uferweg hat Friedericke einen Riesen von
Baum umgelegt, nur die Reste des Stammes ragen trotzig am Wegesrand empor. Andere liegen im Duzend zum Boden
gedrückt, als wären sie nur Strohhalme gewesen. Solche Bilder kann man seit Friedericke überall im Harz erblicken und
manchmal staune ich über einen mächtigen Stamm, den es mitten im Wald einfach umgelegt hat und ich frage mich,
warum ausgerechnet der?
Wir wandern weiter. Zwischen den Bäumen blitzt die Wasserfläche zu uns und schließlich gelangen wir an eine
Gabelung. Hier steht eine Holzhütte, ein aufgeschütteter Damm trennt den Ziegenberger vom Bärenbrucher Teich und
in der Hütte ist die Stempelstelle 137 versteckt. Wir sind nicht allein hier, um uns einen Beleg ins Wanderheft zu
stempeln. Man kommt ins Gespräch, fragt nach dem Weg und Lily versucht, uns gegen zwei andere Hunde zu
„verteidigen“, was deren Frauchen wiederum „ungezogen“ findet. Lily kommt an eine Leine, wenigstens für diesen
Augenblick, und wir verlassen den Platz, die Wasserflächen im Rücken und den Wald vor uns. Von nun an wird unser
Weg links und rechts von riesigen Tannen gesäumt. Man läuft wie an einer Mauer aus hoch aufragenden Stämmen
entlang, die weit oben ein dichtes Dach bilden und nur manchmal einen Sonnenstrahl bis zum Boden lassen.
An der nächsten Kreuzung müssen wir uns entscheiden: Zurück ins Dorf gehen und zum Gefährt oder weiter in den
Wald hinein, nach oben zur nächsten Stempelstelle mit der Nummer 138, Braunseck. Wir rasten auf einer Bank, Lily
bekommt zu saufen und dann sind wir wild entschlossen, uns noch einen Stempel zu gönnen. Dorthin führt nur noch
ein Trampelpfad, durch Dickicht, über moorastige Stellen und wir balancieren über Baumstümpfe, um nicht in den
Modder zu treten. Das ist anstrengend und die Chance, zu stolpern oder abzurutschen lauert nach jedem Schritt, aber
wir werden mit traumhaft schönen Einblicken in den dichten Wald belohnt. Wieder versperrt so ein umgestürzter Riese
den Pfad und diesmal muss Lily darüber gehoben werden. Wenn es hier keine Hexen oder Feen gibt, wo dann?
Verschwitzt und ziemlich außer Puste gelangen wir endlich wieder auf einen richtigen Weg. Nirgends ist ein Hinweis zu
entdecken, wohin der Wanderer sich wenden sollte. Da kommen zwei Wanderer des Weges, aber auch die zucken nur
mit den Schultern. Wir lassen unser Gefühl entscheiden und laufen bergan, bis wir an eine Lichtung gelangen, wo sich
die Wanderwege treffen. Hier steht ebenfalls eine Hütte mit dem Stempelkasten Nummer 138 darin „versteckt“. Wir
haben endlich Braunseck gefunden. Die Einheimischen, so sagt man, nennen diese Wegkreuzung zwischen Buntenbrock
und Riefensbeek den „Buntenbrocker Bahnhof“, denn es gab ein Jahrhundert zuvor Pläne, hier eine Bahntrasse durch
den Wald zu bauen und hier hätte ein Bahnhofsgebäude stehen sollen. Das Projekt erwies sich als zu teuer und der
Harz blieb in seiner Ursprünglichkeit erhalten. Zum Glück! Wir stempeln, bestellen beim imaginären „Bahnhofswirt“ noch
Bratwurst und Bier, müssen aber mit unserer Wasserflasche vorlieb nehmen.
Nach einer Pause nehmen wir die letzten zwei Kilometer unter die Fußsohlen. Wieder erstaunen mich die raue Schönheit
der Natur im Harz, aber auch die vielen gestürzten Baumriesen, die überall liegen. Der Weg führt jetzt nur noch abwärts
und jeder Schritt ist wie ein Signal an meine kaputte Hüfte und die Sehnsucht nach Ruhe wächst stetig. Lily läuft
voraus, sie ahnt wohl auch, dass diese erste Tour im Frühjahr bald geschafft ist. Wir sind über den Berg und hinter der
nächsten Biegung können wir auch die Häuser zu sehen. Am Bach waschen wir Lily die Füße, denn die letzten hundert
Meter werden sie über Asphalt tippeln. Der Berg mit dem Wald liegt hinter uns, vor uns der Frühling und die nächsten
Wanderungen auf und über den Haufen Harz, der hier so wunderschön in der Gegend herumliegt.
Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.